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Das miese Spiel um sicheres Gas

Das miese Spiel um sicheres Gas(www.focus.de: Montag, 13.05.2013, 00:00 · von H.-J. Moritz, B. REITSCHUSTER und B. WETZEL)

Im Sommer will Aserbaidschan über eine neue Gas-Pipeline entscheiden, die Europas Abhängigkeit von Russland verringern soll. Schürt der Kreml in der Region Konflikte, um dies zu verhindern?
Es geht um Europas Zukunft. Auch darum, ob die Deutschen künftig jeden Winter werden heizen können. So sieht es Elshad Nassirov, Vizepräsident der staatlichen aserbaidschanischen Gas- und Ölgesellschaft Socar. Der Mittfünfziger sitzt in einem prächtigen Altbau mit hohen Decken und geschmiedeten Balkonen. Aus seinem Eckzimmer blickt er auf die Bucht von Baku. Dort, im Meeresboden, schlummern die Gas- und Ölvorräte, die der einstigen armen Randregion des alten Sowjetreichs zu Wohlstand verhelfen. Die Boomtown Baku baut gerade das höchste Haus der Welt mit 1050 Metern, einen Business-Turm auf einer künstlichen Insel im Kaspischen Meer.

nabuccopipeline

Hinter den glänzenden Fassaden der Stadt tobt ein Wirtschaftskrieg um die Energiereserven des Landes – und darum, ob und wie sie nach Europa gelangen. Einer der Hauptakteure ist Moskau: Präsident Wladimir Putin will Europa in die Gas-Zange nehmen und von Lieferungen aus Russland abhängig machen. Mit Hilfe von Duzfreund Gerhard Schröder realisierte er die Ostsee-Pipeline Nord-Stream nach Deutschland. Jetzt will er mit der Röhre South-Stream den Süden Europas versorgen. Chefaufseher des Projekts, bei dem Ende 2012 im russischen Anapa am Schwarzen Meer die Bauarbeiten begannen, ist Henning Voscherau (SPD), Ex-Bürgermeister von Hamburg und Schröder-Freund.

40 Prozent des in Deutschland verbrauchten Gases kommen derzeit aus Putins Reich. Der schrieb schon 1999, die Bodenschätze seien „Grundlage für die Verteidigungsmacht des Landes“ und der „Hebel“, mit dem Russland „zu alter Größe“ erstarken könne. Die EU fürchtet sich vor einer großen Abhängigkeit von Moskau. Brüssel kämpft seit Jahren für alternative Lieferanten und Lieferrouten, allen voran Energiekommissar Günther Oettinger.

Das muslimische, rohstoffreiche Aserbaidschan spielt dabei eine Schlüsselrolle. Bisher ist es das einzige Land, das Gaslieferungen für eine neue Europa-Pipeline zugesagt hat. Langfristig könnten auch Lieferungen aus Turkmenistan und Iran hinzukommen. Das neue aserbaidschanische Gasfeld Shah Deniz II im Kaspischen Meer hat enorme Kapazitäten. Spätestens im Sommer soll die Entscheidung fallen, ob von dort aus direkt Gas über eine neue Pipeline nach Europa fließen soll – an Russland vorbei.

Ab 2019 will das Land am Kaukasus zusätzlich 16 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr fördern, zehn für Europa und sechs für die Türkei. „Aber nur, wenn es eine Pipeline gibt“, sagt Socar-Vizedirektor Nassirov und verspricht: „Mehr Pipelines, mehr Energiesicherheit.“ Ähnlich sehen das Tschechen, Bulgaren, Moldawier, Rumänen, Polen und andere Osteuropäer. Sie haben schlechte Erfahrungen mit Gas aus Russland gemacht. Schon zu Sowjetzeiten drosselte Moskau die Zufuhr für alle, die nicht spurten. Im Januar 2009 mussten Tausende Ukrainer tagelang bei eisiger Kälte ausharren, weil es Unstimmigkeiten über Lieferungen und Zahlungen gab.
„Eine neue Pipeline ist für uns ein Türöffner“, sagt EU-Energiekommissar Günther Oettinger. „Wir wollen neben Russland, Norwegen und anderen Partnern auch Aserbaidschan als Gaslieferanten gewinnen.“ Zwei Trassenführungen sind im Gespräch – die Nabucco-West-Linie, die über Bulgarien und Rumänien nach Österreich führt, und die Transadriatische Pipeline (TAP) via Albanien nach Italien. Für beide Strecken stehen Privatinvestoren bereit. Die EU tritt nicht als Geldgeber auf und könnte sich mit jeder der beiden Lösungen anfreunden. „Für uns ist wichtig, dass wir direkten Zugang zu den Gasreserven im kaspischen Raum haben“, erklärt Oettinger. „Wir unterstützen daher beide Projekte.“ Weil Aserbaidschan das Gas liefert, entscheidet sich in Baku, welche Trasse gebaut wird.
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dpa-Grafik
Russland will alternative Routen verhindern und spielt im Gaspoker mit allen Karten. Aus informierten Kreisen ist zu hören, dass Moskau den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew aus dem Amt putschen wolle: Der KGB-Nachfolger FSB arbeite bereits an einem Oppositions-Netzwerk, das zunächst vom Ausland aus agieren und dann in Baku die Macht übernehmen soll.

Moskau zündelt auch anderweitig: Um die südkaukasische Energieroute unsicher zu machen, schürt der Kreml nach Ansicht von Experten die Konflikte in der abtrünnigen georgischen Teilrepublik Südossetien – und vor allem in dem völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörenden, durch Armenien besetzten Berg-Karabach und sieben angrenzenden Gebieten.

Diese Region – so groß wie Thüringen und somit rund 20 Prozent des aserbaidschanischen Staatsgebiets – hält Armenien seit 1994, dem Ende des Krieges gegen Aserbaidschan, besetzt. Bis zu einer Million Vertriebene aus den besetzten Gebieten sitzen seitdem im restlichen Aserbaidschan fest. Laut Weltbank-Bericht hat Baku 182 Millionen Manat, was etwa 175 Millionen Euro entspricht, allein im Haushaltsjahr 2012 für diese Flüchtlinge ausgegeben.

Auch vier Sicherheitsratsresolutionen der UN aus dem Jahr 1993 und zahllose Appelle der internationalen Gemeinschaft führten zu keiner Lösung. Der Konflikt ist festgefahren, zwischen den beiden Ländern herrscht seit 1994 lediglich ein brüchiger Waffenstillstand. Jedes Jahr sterben an der mit Stacheldraht bewehrten und teils verminten Grenze Menschen. Trotz dieses Verstoßes gegen Völkerrecht und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen wird derzeit von der Europäischen Union ein Assoziierungsabkommen mit Armenien verhandelt, welches noch in diesem Jahr zum Abschluss gebracht werden soll.

Das rohstoffarme Armenien hätte im Konflikt mit Aserbaidschan möglicherweise längst nachgegeben – wenn es nicht seit Jahren von Moskau mit modernen Waffen zu Vorzugspreisen versorgt würde. Armenien und das von ihm besetzte Berg-Karabach sind Moskaus Trumpf im Energiepoker.

Zwar führen die Transportwege für Gas und Öl aus Aserbaidschan an dem Konfliktgebiet vorbei. Doch Uwe Halbach, Kaukasus-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), urteilt: „Sollte es noch einmal zum Ausbruch eines Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien kommen, würde die Pipeline-Logistik sicher in Mitleidenschaft gezogen.“

Beide Länder haben aufgerüstet, die Schärfe ihrer Kriegsrhetorik hat zugenommen. Ein hoher armenischer Offizier drohte im vergangenen Jahr im Fall eines erneuten Krieges mit Angriffen auf die Wirtschafts- und Energie-Infrastruktur des Nachbarn

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