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US Drohnenpiloten brechen ihr Schweigen: Wir züchten Terroristen
Gezüchteter Terrorismus: US-Drohnenpiloten brechen ihr Schweigen
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Von Marc Dassen am 20. November 2015 Aktuell, Allgemein
_von Marc Dassen (aus Compact-Magazine|)
Seit dem Machtantritt von US-Präsident und Oberbefehlshaber Barack Obama hat sich die Kriegsführung der Vereinigten Staaten stark verändert. Konventionelle Truppen und Waffen spielen kaum noch eine Rolle, unbemannte Killerdrohnen, gesteuert aus den USA und technisch unterstützt durch den US-Stützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein, erledigen heute die Drecksarbeit aus tausenden Kilometern Entfernung. Jetzt beschreiben vier ehemalige Drohnenpiloten in einem offenen Brief an ihren Präsidenten die grausame Ineffizienz von Washingtons automatisierter Kriegsführung und warnen: Das wahllose Töten produziere „immer neue Terroristen“.
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Viele hunderttausend Menschen in den Kriegsgebieten von Afghanistan, Pakistan oder dem Irak haben seit dem Beginn des sogenannten Kriegs gegen den Terror ihr Leben durch US- und NATO-Angriffe verloren – ein großer Prozentsatz davon waren Zivilisten. Einige tausend dieser Opfer standen zuvor auf der präsidialen „Kill-Liste“ und kamen durch Drohnenangriffe der USA ums Leben, die Präsident Obama stets persönlich anordnet. Bei einigen dieser Killeraktionen hatten die Unterzeichner des offenen Briefes – Brandon Bryant, Michael Haas, Stephen Lewis und Cian Westmoreland – ihren Finger am Abzug. Drei von Ihnen saßen zwischen 2005 und 2011 am Joystick der fliegenden „Raubtiere“ und leiden heute nach eigenen Angaben unter posttraumatischen Belastungsstörungen, da sie von der eigenen Regierung als Vollstrecker eines unmenschlich geführten Krieges missbraucht wurden. „Als unsere Schuld wegen der Rolle, die wir bei der Umsetzung dieser systematischen Zerstörung unschuldigen Lebens innehatten, zu groß wurde, erlagen wir alle dem posttraumatischen Stress-Syndrom“ erklären sie einstimmig und machen dabei deutlich, dass ihre Regierung sie in der Folge ausgemustert und im Stich gelassen habe.
Der offene Brief richtet sich sowohl an den Präsidenten selbst, wie auch an seinen Verteidigungsminister Ashton Carter und an den ebenfalls am Drohnenmord beteiligten CIA-Chef John Brennan. Darin schreiben die Veteranen: „Diese Regierung und ihre Vorgänger haben ein Drohnenprogramm aufgebaut, das sich zu einer verheerenden Friedfeder für den Terrorismus und die Destabilisierung der Welt entwickelt hat.“ Die traumatisierten Veteranen seien weiter zu der „Erkenntnis gekommen, dass wir durch die Tötung unschuldiger Zivilisten des Hass geschürt haben, der Terrorgruppen wie ISIS antreibt“. Dieses Eingeständnis, das noch dazu von direkt involvierten Militärs geäußert wird, sollte all jenen die Augen öffnen, die nach wie vor an die Effizienz und Sinnhaftigkeit dieses automatisierten Krieges glauben. „Wir haben die Verschwendung, die Misswirtschaft und den Machtmissbrauch erlebt – und die Lügen, die unsere Regierung der Öffentlichkeit über die Wirksamkeit des Drohnenprogramms aufgetischt hat“, erklären die vier Whistleblower weiter. Gerade die schrecklichen Ereignisse in Paris haben die Unterzeichner des offenen Briefes dazu bewogen, endlich den Zusammenhang zwischen der barbarischen Kriegsführung der USA und den ebenso barbarischen Terroranschlägen fanatisierter Islamisten aufzudecken: „Wir können nicht länger schweigen und Tragödien wie in Paris mit ansehen, wenn wir wissen, welche furchtbaren Auswirkungen das Drohnenprogramm im In- und Ausland hat.“
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Einer der Piloten, Brandon Bryant, war bereits Mitte Oktober vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages aufgetreten. Er war es, der die zentrale Rolle des US-Stützpunktes Ramstein nahe Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz enthüllte und dazu erklärte: „Alle Daten, jede einzelne Information, die zwischen dem Flugzeug und der Mannschaft übertragen wurde, lief über Ramstein.“ Ohne Deutschland, so wissen wir heute, wäre der US-Drohnenkrieg im Nahen und Mittleren Osten nicht denkbar. Unsere Bundesregierung trifft also eine direkte Mitschuld an der durch endlose Drohneneinsätze ausgelösten Gewaltspirale. Sie könnte das Treiben sofort beenden – doch Kanzlerin Merkel ist Obamas Militärapparat weiterhin treu ergeben. Die Ex-Piloten geben in ihrem Schreiben an, dass sie sich aus Sorge um die Verfassung und aus schlechtem Gewissen dazu entschlossen hätten, nun endlich mit der Wahrheit herauszurücken. Dabei hoffen sie auf Obamas Verständnis: „Wir hoffen, dass sie unsere Sicht der Dinge verstehen“, erklären sie, befürchten aber gleichzeitig, „dass es vergebens ist, wenn man die beispiellose Strafverfolgung anderer Enthüller wie Chelsea Manning, Julian Assange und Edward Snowden betrachtet.“
In den vergangenen Jahren wurde das Drohnenprogramm, das heute jährlich Milliarden Dollar verschlingt, immer weiter ausgebaut, und das trotz immer lautender werdender Kritik und sich häufenden Fällen von versehentlichen „Kollateralschäden“. Bis 2019 will das Pentagon nach Angaben des britischen Guardian die Zahl der Drohneneinsätze nochmals um 50 Prozent steigern. Aus geheimen Dokumenten, die dem Newsportal The Intercept vor einiger Zeit zugespielt wurden, geht hervor, dass die Zahl der versehentlich getöteten Zivilisten teilweise bis zu 90 Prozent betrage. Zivile Opfer werden allerdings meistens als „Kombattanten“ bezeichnet, deren Akten verschwinden dann mit dem Vermerk „enemy killed in Action“ in der Schublade.
Am heutigen Freitag wird in New York der Dokumentarfilm „Drone“ Premiere feiern, in dem auch zwei der Unterzeichner ihre Geschichte erzählen. Bryant glaubt heute nicht mehr, dass die moderne Kriegsführung der USA jemals zum Frieden führen wird. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir solche Terroristen nicht weiter produzieren“, so Bryant. Allerdings geschieht derzeit das genaue Gegenteil: „Wir halten diesen Zyklus am Laufen. Kinder fürchten sich davor, draußen in der Sonne zu spielen, weil immer dann die Drohnen kommen“, zitiert ihn der britische Guardian am 18. Oktober. Diese Wahrnehmung der USA im Ausland werde den Hass auf Amerika immer weiter steigern. Vor diesem Hintergrund ist es alarmierend, dass Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ebenfalls mit der Idee liebäugelt, eigene Drohnen für die Bundeswehr anzuschaffen. Deutschland darf sich an der Automatisierung und Entmenschlichung moderner Kriegsführung nicht beteiligen, wenn es den Hass der islamischen Welt auf den Westen nicht noch weiter anfachen will.
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